omlett – das ultimative kunstwerk
(diese texte sind in der zeitschrift "bildpunkt", IG bildende kunst, erschienen)

teil eins aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

©  walter meissl

es ist absolut ausgeschlossen ein kompetentes urteil über kunst abzugeben, ohne das wesen des omlettes begriffen zu haben. auf den ersten blick mag dies befremdlich erscheinen. auf den zweiten blick ist es selbstverständlich. allerdings ist es dazu nötig, sehr weit von vorne zu beginnen. z.b. bei der neolithischen revolution. das dürfte für unsere zwecke weit genug vorausgegriffen sein. unter neolithischer revolution versteht man die entstehung der wesentlichsten kulturtechniken, wie ackerbau, viehzucht, töpferei, weberei. das neolithikum, die jungsteinzeit, schuf vor rund 10 000 jahren eine form wissenschaftlicher tradition, die als grundlage für die entwicklung der ersten hochkulturen anzusehen ist. das wissenschaftliche an dieser tradition war ein systematisches, planvolles, vorausschauendes vorgehen bei der entwicklung dieser neuartigen kulturtechniken. es war aber gleichermaßen eine kunst. ein schöpferisches ausprobieren neuer möglichkeiten, ein intuitives gespür für zu erwartende, beteutungstragende konstellationen, eine freude und eine lust am experiment. die neolithische revolution wurde also nicht durch eine zufällige häufung bestimmter ereignisse oder durch passives beobachten herbeigeführt, sondern durch einen absichtsvollen schöpfungs- und innovationswillen. z.b. ist es ziemlich ausgeschlossen aus kupfererz durch bloßes zufälliges herumprobieren metall zu gewinnen. wie archeologen in versuchsreihen festgestellt haben, ist die einfachste form geschmolzenes metall aus gestein zu gewinnen folgende: zu pulver zermahlener kupferspat wird intensiv in einer tonschale erhitzt, die ihrerseits mit einem umgedrehten tontopf zugedeckt ist (siehe c.l. strauss, wildes denken, s.26). so auch beim omlett. das omlett entsteht nicht einfach durch wahlloses hineinschütten einer verquirlten eimasse in heißes fett. daraus ist noch nie soetwas wie ein omlett hervorgegangen. um ein omlett zuzubereiten, bedarf es der gleichen umsichigen, planenden und kreativen vorausschau, die voraussetzung für jede art von schöpferischer tätigkeit ist.

das neolithische beispiel zeigt, dass am anfang von kunst und wissenschaft der kreative umgang mit dem material steht. das material ist zäh, spröd, widerspenstig. es kostet umsicht, mühe, überwindung und ausdauer, vertrauen und zuversicht, um sich dem material zu nähern und in einen dialog mit dem material zu treten. dann wird es nachgiebig, zutraulich, formbar. gelingt es, das material in form zu bringen, schafft man ausdruck und bedeutung. geformtes material ist ein formulierter gedanke. materialarbeit ist gedankenarbeit. nach soviel arbeit bekommt man hunger und macht sich ans kochen. dass man für ein omlett eier braucht, weiß jeder. nur wenn man den kühlschrank öffnet und sich darin kein ei befindet, was macht man dann? etwas anderes. man übt sich in der kunst der improvisation.

es ist also nicht viel im haus: eine angebrochene packung italienischer arborio reis, ein stück porre, ein paar zwiebeln, frischer ingwer und knoblauch und was an ständigen zutaten und gewürzen sich in einer küche sonst noch findet. zwiebeln und porre in dünne ringe schneiden,  ingwer und knoblauch grob hacken und das ganze in olivenöl anbraten, dazu noch kreuzkümmel (nicht zu viel) und algen (am besten noriblätter), mit etwas sojasoße löschen, mit wasser aufgießen und mit biologischer gemüseextraktbrühe würzen. das ganze ist gedacht als beilage zu weißem reis, kann aber auch zu einer suppe verlängert werden.

ein anderes mal, als ich etwas mehr zuhause hatte, machte ich noch in sojasoß marinierten frischen tofu, der in öl goldgelb gebraten wird und würfelig geschnittene welsfilets, kurz angebraten, mit salz, frischem pfeffer und zitronensaft gewürzt. um ein omlett wirklich zu verstehen, muß man nicht immer omlett kochen und um kunst zu machen, muß man nicht immer farbe auf eine leinwand schmieren.

 

omelett – das ultimative kunstwerk

teil zwei aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

wer glaubt, ein omlett sei nichts weiter, als ein paar verrührte, gebratene eier, ist wie jemand, der der meinung ist, malewitsch schwarzes quadrat auf weißem grund, sei nichts weiter als ein schwarzes quadrat auf weißem grund. doch damit greife ich ohnehin viel zu kurz. wenn vom omlett die rede ist, muß man von vorne anfangen. auch wenn die archeologen bis jetzt noch keinen überzeugenden beweis dafür erbracht haben, so bin ich dennoch von der tatsache überzeugt, dass die tradition des omletts bis in die jungsteinzeit zurückreicht. mit der domestizierung der tiere, standen erstmals eier in größeren mengen zur verfügung. damit war die voraussetzung für eine systematische und planvolle auseinandersetzung mit den möglichkeiten der eierzubereitung gegeben. genausowenig wie man durch zufälliges herumprobieren aus erz metall gewinnen konnte, genausowenig ist das omlett ergebnis planlosen herumkochens. wenn der beginn der wissenschaften und künste in den ersten handwerklichen fähigkeiten und erfindungen anzusetzen ist, dann sind diese handwerklichen fähigkeiten ihrerseits aus der kunst des kochens hervorgegangen. die küche ist somit die eigentliche geburtsstätte von kunst und wissenschaft. in der küche brannte das erste feuer, dort brodelte der erste eintopf, dort entfaltete sich als erstes das kreative potential des menschen. die küche verfeinerte des menschen wahrnehmung, schärfte seine sinne, erfand neue geschmäcker und zog aus all dem lust, genuß und erkenntis. bevor man sich also fragt "was ist kunst?" muß man sich fragen "was ist ein omlett?" das omlett ist nicht einfach ein bestimmtes stück speise. das ist es zwar auch, doch zunächst ist das omlett ergebnis eines langen höchst komplexen prozesses. dieser prozess aus dem das omlett hervorgeht, ist nichts weniger als die traditon der gesamten küchen. das omlett als gattung, sowenig wie das omlett als individuum ist nicht zu verstehen, wenn man das omlettindividuum und die omlettgattung nicht als produkt des unaufhörlich dahinfließenden stromes des gesamten kochgeschehens versteht. wie sollte man sich ein omlettindividuum ohne die gesamte küchentradition denken? es ist schlicht undenkbar. es hätte keinerlei bedeutung und es wäre – auch davon bin ich überzeugt – auch nicht eßbar. nur weil gekocht wird, haben einzelne speisen bedeutung, genauso wie jedes wort nur im satzzusammenhang und jeder satz nur im kontext und jeder kontext nur in einer kulturellen tradition bedeutung hat. wenn uns also speisen schmecken und uns kunstwerke etwas sagen, dann geschieht dies, weil das geschmeckte, das gesehene oder das gesagte in einem weit verzweigten geflecht von assoziativen beziehungen zur traditon stehen. das omlett ansich ist uns unerfahrbar, könnte man frei nach kant behaupten. wenn sich allerdings der hunger meldet, hilft nur das omlettindividuum nicht ansich. doch leider fehlen im kühlschrank schon wieder die eier. also ein anderes köstliches schnellgericht: eine pasta, nach dem omlett das ultimative gericht für jeden tag. das folgende rezept ist ergebnis meiner jahrelangen improvisation zum thema pasta und nennt sich "asiatisch italienische freundschaft".

zwei zwiebeln nudelig schneiden, in olivenöl goldbraun anschwitzen, grob gehackten frischen ingwer und knoblauch dazugeben, kurz mitrösten und mit nicht zuviel sojasoße löschen; zwei gehackte sardellenfilets, etwas peperoncini und nudelig geschnittenen bärlauch (oder mangold oder blattspinat) dazu geben, köcheln lassen, nach bedarf mit tomatenmark und panna abschmecken; am schluß frisch gehackte petersilie dazu, fertig. paßt sowohl zu kurzer wie langer pasta.

 

 

omlett – das ultimative kunstwerk

teil drei aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

 

was wäre gewesen, wenn picasso anstatt zu malen nur omletten gebraten hätte? er hätte mit sicherheit den kubistischen geschmack erfunden. nach einer klassischen kochausbildung, nach der er bereits mit sechzehn jahren den gesamten bocuse rauf und runter kochen konnte, hätte er sein weiteres leben damit verbracht, sich von diesen akademischen vorbelastungen zu befreien, um seine kochkunst in mehreren phasen zur vollkommen freien improvisation zu erweitern. und mit sicherheit hätte er seine erotischen obsessionen nicht an antiken stieren und satyren veranschaulicht, sondern am ei.  obwohl oval, ist das ei seinem wesen nach zutiefst kubistisch. kryptokubistisch, könnte man sagen, da normalerweise das ei und die omletten rund sind. aber was heißt normalerweise? und was heißt rund? das ist doch die frage, die in der kunst laufend thematisiert wird. das normale ist gemeinhin die norm und die norm wird von der kunst als permanente provokation aufgefaßt. kunst ist normverstoß und nicht alle omletten sind rund. z.b. sind die omletten in japan quadratisch. das normale, jedem vertraute und ans herz gewachsene, runde omlette wird zu einer abnormen, vollkommen unverständlichen quadratischen platte. es kostet ja schon einige mühe sich überhaupt ein quadratisches omlett vorzustellen, geschweige denn eines zu essen. das normrunde omlett ist so tief in unseren schädel eingebrannt, dass sich unser magen mit sicherheit weigern würde, von einem quadratischen omlett auch nur zu kosten. und dennoch – für die japaner ist das ganz selbstverständlich. millionen quadratischer omletten werden dort täglich verzehrt. alle lieben dort die quadratischen omletten und keiner hat auch nur einen begriff davon, was es heißt, als omlett rund zu sein. und noch etwas; in china kocht man harte eier würfelförmig. das ist tatsächlich ausgekocht. eiklar und dotter werden getrennt, dann kommt zuerst der dotter in ein metallenes quadratischen rohr. dieses wird in ein zweites, größeres rohr gesteckt, in welches das eiklar eingefüllt wird. simmern lassen, aus der form nehmen und quadratische eier servieren. so geht das.

man sieht, wie schwer es ist, dem wesen des omletts auf den grund zu kommen. die norm ist keine norm, da sie sich im vergleich mit anderen kulturellen traditionen in ihr gegenteil verkehrt. um das wesen des omletts wirklich zu begreifen, muß man tatsächlich jede norm hinter sich lassen. jeder gewohnte halt an den griffen der tradition ist stets ein griff ins leere. die norm sagt uns lediglich etwas über die tradition des omletts aber nichts über das omlett selbst. das omlett in seiner wirklichen, wahrhaften bedeutung, seiner substanz, seiner grenzenlos ausgedehnten identität mit dem sein des seienden. ja, ja, das sind große worte für so ein unscheinbares ding wie ein omlett, das mancher nicht einmal von einer eierspeis zu unterscheiden vermag. aber wer sich mit kunst beschäftigt, der wird um eine gründliche auseinandersetzung mit dem omlett nicht herumkommen. der wird zwangsläufig so wie ich zum kühlschrank gehen und nachsehen wieviele eier sich darin befinden. und  -   diesmal habe ich glück: drei eier liegen im eierfach. ideal für ein omlett. doch nicht heute. denn für heute habe ich noch eine halb aufgetaute spinatpackung und frischen schafskäse, die dringenst verarbeitet gehören. mein erster gedanke ist spinat und schafskäse als grundlage einer pasta zu verwenden. mein zweiter gedanke ist, wie soll ich mit den wenigen zufällig vorhandenen ingredenzien beginnen? ich mache es wie in der kunst. ich baue meinen gedanken schritt für schritt zu einer kraftvollen improvisation über das thema "zufällig vorhandenes" aus. zunächst zwiebeln. sie bilden in jedem fall, fein gehackt und in olivenöl goldbraun geröstet eine solide basis. frischen gehackten ingwer und knoblauch mitrösten und mit einem kräftigen schuß pastis löschen. den grob gehackten spinat dazugeben, salzen pfeffern (nur mit frisch gemahlenem schwarzen pfeffer) und mit wenig kreuzkümmel würzen. köcheln lassen und eventuell mit dem nudelwasser aufgießen und mit panna dem sugo körper verleihen. vor dem servieren den würfelig geschnittenen schafskäse dazugeben. buon appetito.

 

omelett – das ultimative kunstwerk

teil vier aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

 

"die zeitgenössischen köche, die in den verschiedenen geschmacklichen medien arbeiten, werden sich heute der unbegrenzten und bisher ungeahnten möglichkeiten des omeletts bewußt. um in diese riesige neue welt vorzudringen, müssen wir die meisten traditionellen erfahrungen preisgeben. der signifikante geschmackliche ausdruck, den die verschiedenen kulturen im laufe der menschheitsgeschichte leisteten, genießt bei köchen und interessierten laien die höchste achtung; und dennoch muß der heutige koch in gewissem sinne so arbeiten, als ob das omelett der vergangenheit nie existiert hätte, als ob wir das omelett neu erfinden würden." so ähnlich schreibt ibram lassaw 1938 unter dem titel "erfinden wir unser eigenes omelett"  über den beginn der abstrakten kochkunst (vergl. i. lassaw, "on inventing our own art", in: american abstract artists, 1938). heute scheint uns das alles selbstverständlich. doch zu lassaws zeit, war die vorstellung ein omelett könnte allein durch die beziehungskonstellation seiner einzelnen komponenten, durch die expressivität seiner geschmacksnuancen, mit einem wort, durch die reduktion auf seine konkreten stofflichen grundelemente und der daraus resultierenden wirkungen, bedeutung haben, revolutionär. das omelett mußte nicht mehr in seinem bedeutungsgehalt über einen expliziten inhalt definiert werden. die verschiedenen zutaten und ingredenzien waren keinem äußeren zweck mehr untergeordnet, sondern konnten selbstständig den gesamten reichtum ihrer ausdrucksmöglichkeiten entfalten. eine ganz ähnliche entwicklung finden wir in der malerei und in der mathematik. die traditionelle malerei verwies immer auf einen dargestellten inhalt, auf ein sujet. das eigentlich gemalte, die farbe, die fläche, die strukltur, die linie wurde lediglich im hinblick auf die möglichkeiten der darstellung eines sujet thematisiert. erst die abstrakte malerei besann sich auf das konkrete ihrer mittel, warf die darstellende, inhaltsbezogene, erzählende malerei über bord und schuf so eine neue form der erkenntnis. in der mathematik war eine vergleichbare entwicklung zu beobachten. der berühmte mathematiker david hilbert drückte diesen paradigmemenwechsel so aus: man muß jederzeit statt punkt, linie oder fläche, tisch, stuhl oder bierseidel sagen können. konkret hieß das, dass man sich unter einem punkt oder einer linie nichts bestimmtes mehr vorzustellen brauchte, um eine konsistente struktur zu erhalten. für den griechen euklid war eine gerade die anschauliche verbindung von zwei punkten. für hilbert stellte sich derselbe sachverahalt vollkommen unanschaulich so dar: "zu zwei A-dingen x1 und x2 gibt es stets ein B-ding y so, daß x1 und x2 in der C-beziehung zu y stehen."

tja, so ist das mit dem omelett, dessen wesen so tief und unergründlich ist, daß es bei richtiger zubereitung mit und ohne inhalt ausgezeichnet schmeckt. aber wie kocht man vorschriftsmäßig ein perfektes omelett? das zu beschreiben, dazu bieten die verbleibenden zeilen natürlich viel zu wenig platz. aber ich liebe sowieso die einfache küche. z.b. nur kartoffeln und zwiebeln. kartoffeln nur die allerbesten, festkochende biologische kartoffeln; die kartoffeln sieden, auskühlen lassen, in 5mm dicke scheiben schneiden und in erstklassigem olivenöl auf kleiner flamme langsam goldbraun rösten. salzen und nach dem servieren mit frischem schwarzen pfeffer würzen. dazu die zwiebeln. die sind etwas aufwendiger. ein kilo schalotten schälen und in einer großen pfanne in heißem olivenöl anbräunen, zudecken und etwa eine halbe stunde bei nicht zu starker flamme und gelegentlichem schütteln oder umrühren, weiterrösten. dann mit honig, granatapfelessig, sojasoße oder rotwein aufgießen, event. wasser hinzufügen, mit tomatenmark und salz nachwürzen. statt des granatapfelessigs und honig kann man balsamicoessig verwenden; mit ein oder zwei eingelegten nüssen aromatisieren; köcheln lassen, bis die zwiebeln gar sind und der fond die richtige konsistenz hat. paßt herrlich zu den gerösteten kartoffeln.

 

 

omelett – das ultimative kunstwerk

teil vier aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

 

"die zeitgenössischen köche, die in den verschiedenen geschmacklichen medien arbeiten, werden sich heute der unbegrenzten und bisher ungeahnten möglichkeiten des omeletts bewußt. um in diese riesige neue welt vorzudringen, müssen wir die meisten traditionellen erfahrungen preisgeben. der signifikante geschmackliche ausdruck, den die verschiedenen kulturen im laufe der menschheitsgeschichte leisteten, genießt bei köchen und interessierten laien die höchste achtung; und dennoch muß der heutige koch in gewissem sinne so arbeiten, als ob das omelett der vergangenheit nie existiert hätte, als ob wir das omelett neu erfinden würden." so ähnlich schreibt ibram lassaw 1938 unter dem titel "erfinden wir unser eigenes omelett"  über den beginn der abstrakten kochkunst (vergl. i. lassaw, "on inventing our own art", in: american abstract artists, 1938). heute scheint uns das alles selbstverständlich. doch zu lassaws zeit, war die vorstellung ein omelett könnte allein durch die beziehungskonstellation seiner einzelnen komponenten, durch die expressivität seiner geschmacksnuancen, mit einem wort, durch die reduktion auf seine konkreten stofflichen grundelemente und der daraus resultierenden wirkungen, bedeutung haben, revolutionär. das omelett mußte nicht mehr in seinem bedeutungsgehalt über einen expliziten inhalt definiert werden. die verschiedenen zutaten und ingredenzien waren keinem äußeren zweck mehr untergeordnet, sondern konnten selbstständig den gesamten reichtum ihrer ausdrucksmöglichkeiten entfalten. eine ganz ähnliche entwicklung finden wir in der malerei und in der mathematik. die traditionelle malerei verwies immer auf einen dargestellten inhalt, auf ein sujet. das eigentlich gemalte, die farbe, die fläche, die strukltur, die linie wurde lediglich im hinblick auf die möglichkeiten der darstellung eines sujet thematisiert. erst die abstrakte malerei besann sich auf das konkrete ihrer mittel, warf die darstellende, inhaltsbezogene, erzählende malerei über bord und schuf so eine neue form der erkenntnis. in der mathematik war eine vergleichbare entwicklung zu beobachten. der berühmte mathematiker david hilbert drückte diesen paradigmemenwechsel so aus: man muß jederzeit statt punkt, linie oder fläche, tisch, stuhl oder bierseidel sagen können. konkret hieß das, dass man sich unter einem punkt oder einer linie nichts bestimmtes mehr vorzustellen brauchte, um eine konsistente struktur zu erhalten. für den griechen euklid war eine gerade die anschauliche verbindung von zwei punkten. für hilbert stellte sich derselbe sachverahalt vollkommen unanschaulich so dar: "zu zwei A-dingen x1 und x2 gibt es stets ein B-ding y so, daß x1 und x2 in der C-beziehung zu y stehen."

tja, so ist das mit dem omelett, dessen wesen so tief und unergründlich ist, daß es bei richtiger zubereitung mit und ohne inhalt ausgezeichnet schmeckt. aber wie kocht man vorschriftsmäßig ein perfektes omelett? das zu beschreiben, dazu bieten die verbleibenden zeilen natürlich viel zu wenig platz. aber ich liebe sowieso die einfache küche. z.b. nur kartoffeln und zwiebeln. kartoffeln nur die allerbesten, festkochende biologische kartoffeln; die kartoffeln sieden, auskühlen lassen, in 5mm dicke scheiben schneiden und in erstklassigem olivenöl auf kleiner flamme langsam goldbraun rösten. salzen und nach dem servieren mit frischem schwarzen pfeffer würzen. dazu die zwiebeln. die sind etwas aufwendiger. ein kilo schalotten schälen und in einer großen pfanne in heißem olivenöl anbräunen, zudecken und etwa eine halbe stunde bei nicht zu starker flamme und gelegentlichem schütteln oder umrühren, weiterrösten. dann mit honig, granatapfelessig, sojasoße oder rotwein aufgießen, event. wasser hinzufügen, mit tomatenmark und salz nachwürzen. statt des granatapfelessigs und honig kann man balsamicoessig verwenden; mit ein oder zwei eingelegten nüssen aromatisieren; köcheln lassen, bis die zwiebeln gar sind und der fond die richtige konsistenz hat. paßt herrlich zu den gerösteten kartoffeln.

 

 

omelette – das ultimative kunstwerk

teil fünf aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

wie bereits gesagt, wird das omelette aus material geformt und ergibt wie jedes geformte material einen formulierten gedanken von besonderem geschmack. das omelette kommt mit sehr wenigen materialien aus: eier, salz, butter, eventuell etwas milch. kein mehl! kein mehl! das muß unbedingt betont werden. es gibt ja menschen die können ein omelette nicht von einer palatschinke oder einem crepes unterscheiden. ich nehme an, das sind in der regel auch menschen die einen tizian nicht von einem raffael und einen de kooning nicht von einem jackson pollok unterscheiden können. omelette ohne mehl! das ist gewiß.

ein korrekt zubereitetes omelette ist schlicht ergreifend. in dem film tampopo des japanischen regisseurs juzo itami gibt es eine szene in der ein sandler mitten in der nacht ein reisomelette für einen kleinen jungen zubereitet. das war für mich die schlüsselszene des ganzen films. der mann bereitete mit einer verblüffenden selbstverständlichkeit ein perfektes omelette: goldgelb, saftig und faltig. das wichtigste sind bekanntermaßen die falten. ein omelette ohne falten ist kein omelette. die falten entstehen durch geschicktes abheben der eimasse vom pfannenboden mit einem flachen holzkochlöffel und durch eine aus dem handgelenkt heraus durchgeführte rüttelbewegung. nur so bleibt das omelette saftig und erhält gleichzeitig sein volumen. apropos material: zwei wesentliche vertreter der materialkunst, hermann nitsch und otto mühl, haben es durchaus verstanden, dem material ei, vorzugsweise dem rohen ei, seine verborgenen erotischen und ekstatischen geheimnisse zu entlocken. die schleimige, nasse, leicht klebrige konsistenz des rohen eies erinnert an rohe austern, dem aphrodisiakum schlechthin. wenn mühl in seinen berühmten materialaktionen sich und andere mit rohen eiern, mehl und allerlei saftigem obst zuschüttet, dann graut es zwar dem spießbürger, ein feinsinniger und gebildeter mensch wird darin jedoch das geheime und wollüstige urerlebnis im intrauterinen fruchtwasser wiedererkennen. so gesehen verweist das rohe ei weit über die neolithische revolution hinaus. das rohe ei stellt gleichsam die direkte verbindung zur ursuppe her, in der sich vor rund drei milliarden jahren die ersten einzelligen organismen tummelten. fast am anfang war das ei, heißt es bei den alten griechen. in einem orphischen schöpfungsmythos wird berichtet, dass die schwarzgeflügelte nacht - eine göttin, der selbst zeus respekt und ehrfurcht erwies - vom wind befruchtet wurde und in die undruchdringliche nacht ein silbernes ei legte. diesem ei entschlüpfte der zweigeschlechtliche eros und versetzte das all in bewegung. die finstere nacht erhellte sich, die eier wurden zu omeletten verbraten und damit nahm alles seinen bis heute gewohnten verlauf.

mein persönlicher gewohnter verlauf ist die improvisation. also gibt es ein improvisiertes sonnatgsessen. was ist da? dorschfilet, reis, etwas gemüse. ich koche den reis und gebe gegen ende der garzeit erbsen dazu. karotten und fenchel in dünne streifen schneiden (das grünzeug vom fenchel mitverwenden), champignon dünnblättrig schneiden, eine birne in kleine stücke schneiden. karotten, fenchel, birne und champignon in olivenöl kurz anbraten, mit etwas zitronensaft löschen, mit wasser aufgießen. den sud mit etwas biologischem suppenextrakt würzen, wenig kreuzkümmel und salz dazu, den sud etwas köcheln lassen, dann einen dampfeinsatz über dem gemüsesud einsetzen und die fischfilets bei zugedeckter pfanne kurz gar dünsten. die fischfilets vorher entweder leicht salzen oder mit sojasoße betreufeln und etwas zitronensaft darüber geben. erbesenreis und fischfilets auf einem teller anrichten, darüber den gemüsesud, fertig.

 

 

 

omelette – das ultimative kunstwerk

letzter teil aus der serie "künstlerinnen kochen ihr mittagessen selber"

 

da es über das omellete unendlich viel zu sagen gibt, muß man irgendwann frei nach wittgenstein zu schweigen beginnen. letztendlich ist das omlett unergründlich und unerfahrbar. immer neue facetten tauchen auf, das gelbe vom ei ist so vielfältig wie eos, die göttin der morgenröte, die jeden tag ein neues spiel von farben aus dem dunkel der nacht auftauchen lässt. so unergründlich und unauslotbar wie das omelette, so unergründlich und unauslotbar ist letztendlich die kunst.

jede wird wahrscheinlich selbst schon einmal den verzeihlichen fehler begangen haben, zu glauben, jetzt wisse sie wie ein omelette richtig zuzubereiten ist, jetzt hat sie den ultimativen geschmack eines omelettes erschmeckt, jetzt ist das letzte geheimnis gelüftet. so verzeihlich dieser fehler ist, so unverzeihlich ist es, auf dieser position starrköpfig zu verharren. sobald man nämlich einmal gesagt oder gedacht hat: "so ist das wahre omelette" hat man den wahren charakter des omelettes bereits verfehlt. das omelette ist auch immer etwas anderes. es ist nie nur dies oder nur das. es entzieht sich beharrlich jeder starren definition, es ändert sich von küche zu küche, von generation zu generation, von kultur zu kultur. das omelette ist unaufhaltsam neu, an ihm vollzieht sich prototypisch die ununterbrochene veränderung, der permanente wandel, das fließen der zeit. so wie der großartige heraklit sagte, dass man nie in denselben fluß steige, so kann die begabte künstlerin mit recht behaupten, dass kein ei dem anderen gleicht.

wenn es also ganz und gar unmöglich ist, das wesen des omelletes auszuschöpfen, seinen letzten sinn zu erkennen, seine tiefste wahrheit zu verstehen, dann ist es letztlich auch unmöglich ein omelette zu kochen. ja, das ist die mystische erkenntnis vom ei: es ist unzubereitbar. aus dem ei entsteht nichts, wird nichts, kann nichts gemacht werden. zu beschreiben wie man ein omellete zubereitet ist ein ding der unmöglichkeit. wenn das omelette sich jedem tieferen verständnis entzieht, wie sollte man dann ein rezept angeben können? es wäre ein rezept fürs unverständliche. ein rezept dafür, dass ich nicht weiß, was ich tue. und einmal ehrlich: welcher künstler kann mit gutem gewissen behaupten, er wisse was er tue, wenn er farben auf untergründe schmiert, irgenwelche materialien verbiegt und verformt, weiß gott welche theorien für einfache handgriffe entwickelt, usw.,usw.?

was das wesen des omelettes wirklich ist, drückt sich am besten in folgender begebenheit aus:

ein mönch fragte: "was ist das problem?"

der große und verehrungswürdige meister yunmen sagte: "dass du den gestank deiner eigenen scheiße nicht bemerkst."

 

tja, da kann einem richtig der hunger vergehen. also essen wir zur abwechslung einmal nichts. hier das rezept: nichts.  

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