die intellektuellen zeitgenossInnen, die mit leidenschaft kochen, sind sich nicht immer der tatsache bewußt, dass z.b. eine perfekt zubereitete olla potrida ein vollendeter gedanke von unvergleichlicher erkenntniskraft ist. diesen mangel versucht das vorliegende buch teilweise zu beheben, indem es zeigt, wie man mit dem kopf verdaut und mit dem bauch denkt. vom kulinarischen denken und vom gastrosophischen schmecken handelt dieses buch. unter kulinarischem denken versteht der autor ein ersetzen von bestimmten schlüsselwörter eines textes durch kochbuchvokabeln. das gastrosophische schmecken hingegen, ist die geschmackliche einsicht, dass ein gut komponiertes gericht strukturell einem wohlgeformten gedanken gleicht.
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leseprobe: Wie die Nudel plötzlich
aus dem Nichts auftauchte Neulich sitze
ich zu Hause an meinem Schreibtisch und arbeite an
einem Text über das Problem der Transsubstantiation
und deren strukturellen Zusammenhang mit der
christlichen Dreifaltigkeitslehre und der
buddhistischen Trikayalehre. Das Problem beschäftigt
mich schon eine ganze Weile und ich gewinne immer
mehr den Eindruck, dass sich die ganze Sache auf das
Problem von Identität und Differenz reduzieren
lässt. Mit anderen Worten: wie ist es denkbar, dass
etwas mit sich selbst identisch und gleichzeitig von
anderen verschieden ist? Das ist nur auf den ersten
Blick eine triviale Frage. Tatsächlich ist das eine
ausgesprochen vertrackte Geschichte. Aber an diesem
Tag an meinem Schreibtisch komme ich mit der Sache
ganz gut voran. Das einzig Irritierende dabei ist,
dass ich zwischendurch dauernd an Sex denken muss.
In mir strömen gleichzeitig zwei Flüsse: der
Gedankenfluss und der Fluss der libidinösen
Begierde. Ich folge dem Fluss der Gedanken: was ist
eine Substanz und wie kann sich eine Substanz in
eine andere verwandeln? Wenn eine Substanz das mit
sich selbst Identische ist, dann müsste sie zugleich
in sich gespalten sein, denn mit sich identisch zu
sein, setzt bereits zwei voraus. Identität ist also
nur als Differenz zu denken und umgekehrt. Und
umgekehrt schaukle ich unversehens wieder auf den
Wellen meines libidinösen Verlangens. Ich schaue mir
schnell im Internet ein paar Pornoseiten an, was
meinen Drang zu sexueller Befriedigung nur noch
erhöht. Um nicht vollends in der Flut meiner beiden
Ströme zu ertrinken, rauche ich zunächst einmal
einen Joint. Aha, die Dreifaltigkeitslehre ist nur
richtig zu verstehen,
wenn man das Problem von Identität und Differenz
gelöst hat. Ich bin einer und dennoch rede ich
dauernd von ich bin der und der. Also bin ich zwei.
Die Gleichsetzung von Vater, Sohn und heiligem Geist
oder buddhistisch gesprochen, von Dharmakaya,
Samboghakayaund Nirmanakaya beruht auf der Tatsache,
dass ein Ding weder mit sich identisch, noch nicht
identisch, weder sowohl identisch als auch nicht
identisch, noch keines von beiden ist. Was also ist
es? Mittlerweile
ist es gegen zehn Uhr abends und meine Frau kommt
gerade nach Hause. Ich küsse sie
heftig und merke sofort, dass sie ebenfalls an Sex
denkt. Wir reißen uns die Kleider vom Leib und tun
zu unserem größten Vergnügen das, was die Natur uns
zu tun empfohlen hat. Eigentlich habe ich
geplant, eine klassische Pasta al pomodoro zu
kochen. Aber meine Frau hat keinen Hunger und
ich auch nicht so recht. Ich denke an irgendeine schnelle Kleinigkeit. PASTA
NR. 2 ÜBRIGGEBLIEBENE
SPAGHETTI
MIT ALLEM WAS DA IST Von
Mittag ist noch eine halbe Portion Spaghetti übrig. Ich
denke, die lassen sich schnell ein bißchen aufmotzen.
Das wäre genau das Richtige. Allerdings
ist kaum etwas im Kühlschrank. Ein einzelnes
Sardellenfilet. Das
nehmen wir auf alle Fälle. Kein Tomatenmark; also dann
einen kräftigen Schuss Ketchup.
Man soll beim Kochen keine Vorurteile haben. Zwei
Knoblauchzehen
in dünne Scheiben geschnitten und ein paar eingeweichte
Rosinen, ganz
fein gehackt, die ich für das Sugo pomodoro gedacht
habe. Noch
ein Blick in den Kühlschrank: da finde ich eine
angebrauchte Tube Harissa. Davon
kann man ruhig etwas dazugeben. Mit ordentlich viel
Olivenöl werden alle
Zutaten zusammen mit den Spaghetti langsam erhitzt. Zum
Schluß gebe ich noch eine Portion geriebenen Peccorino
dazu. Fertig. Ich
esse dieses improvisierte Gericht und bin geradezu
überwältigt! Ein
unergründlich tiefer Geschmack mit einem Abgang, wie
ihn nur die besten Pastas von Carluccio bieten. Noch
eine Viertelstunde nach dem letzten Bissen habe ich
diesen rundum ausgewogenen, nicht
aufdringlichen
aber umso intensiveren Geschmack am Gaumen, der
durch die Süße der Trauben, dem salzig fischigen der
Sardellen, dem
pikant scharfen des Knoblauchs und der leicht junkigen
Ketchupnote verursacht ist. Und
wie es der Zufall will, habe ich den Soundtrack zu
Scorseses Film »Casino« im
CD-Player. Und was läuft gerade, als ich meine Spaghetti
esse und zusammen
mit meiner Frau eine Flasche Rotwein trinke? Louis
Primas »Angelina/Zooma, Zooma«. Das ist wie eine zweite
Offenbarung. Die
beste Nummer aller Zeiten! Wir drücken auf repeat und
hören bis weit über
Mitternacht ausschließlich Louis Primas Angelina/Zooma
Zooma. Ach
ja, die Kunst! Die hätte ich jetzt beinahe vergessen. |
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